Dokumentar- und Theaterprojekt
von Isabelle Kaiser und Peter Schütz
Etwas mehr als 20 Jahre nach dem Krieg auf dem Balkan wagen wir uns an eine Bestandsaufnahme: Wie sehen Slowenen, Mazedonier, Serben, Bosnier, Kroaten und Montenegriner heute das Jugoslawien von gestern? Welche Erinnerungen verbindet sie? Und wie stehen sie eigentlich zueinander? Helfen wird uns dabei ein Auto, ein Zastava 101.
Unsere erste Reise führt uns in die Schweiz. Wir möchten dort mit Menschen reden, die Ihre Heimat Jugoslawien vor längerer Zeit verlassen haben, aus den unterschiedlichsten Gründen, oder die als Kinder hierher kamen und wissen möchten, wo ihre Wurzeln sind.
Ist der Zastava oder der Yugo ein verbindendes Symbol für eine gemeinsame jugoslawische Kultur?
Böse Zungen behaupten, der Zastava Yugo sei das schlechteste Auto aller Zeiten. Witze erzählen davon, dass eine Tankfüllung schon seinen Kaufwert verdoppeln würde.
Er ist laut, eckig, schwer zu fahren und war schon während seiner Produktionsphase ein einziger Anachronismus. Er ist das Gegenstück zu Fortschritt und Stromlinienförmigkeit, eher gemütlich als schnell und bedeutet akute Lebensgefahr für seine Insassen.
Der Yugo ist sehr spartanisch in seiner Ausstattung und einfach zu reparieren. Schon wenn man sich in ihn hinein setzt, spürt man die Atmosphäre einer sepiafarbenen Welt, die überschaubar war, mit weniger Tempo und ohne digitale Überforderung. Keine komplizierte Elektronik, keinen überflüssigen Schnickschnack. Und er hat einen Krieg überlebt. Heute sieht man ihn noch hier und da auf dem Balkan, sehr häufig in Serbien, eher selten in Bosnien. Der Yugo steht für eine Zeit, die in der Rückschau nostalgisch leuchtet, er lässt Erinnerungen wach werden, die warm und verklärt sind. Jeder, ob Slowene, Serbe, Mazedoniern, Bosnier, Kroate oder Montenegriner hat seine spezielle Yugo-Geschichte.
War die Bezeichnung „Yugo“ erfunden worden, um dem Exportschlager einen schmissigen Namen und eine Identität zu geben, so wurde der Begriff „Jugo“ in der Schweiz oft als Schimpfwort gebraucht. Hier besteht ein ähnlicher Zusammenhang wie zwischen den „Tschingg“ und dem Fiat Cinquecento.
Wir suchen nach Menschen in der Schweiz, die mit uns ihre „Yugo“- oder „Jugo“-Geschichten teilen möchten. Was verbinden sie heute mit dem Auto? Gibt es noch so etwas wie ein jugoslawisches Gemeinschaftsgefühl? Hatten sie selbst einen Yugo in der Familie? Und mit welchen Vorstellungen sind sie in die Schweiz gekommen?
Warum machen wir das?
Wir sind seit einigen Jahren aus familiären und persönlichen Gründen mit dem Thema Jugoslawien verbunden. Das Ganze wurde befeuert durch einen längeren Rechercheaufenthalt in Belgrad und Sarajevo, wo Isabelle Kaiser ihre Familie mütterlicherseits besuchte. In Gesprächen über das alte Jugoslawien haben wir bei Vielen ein Leuchten in den Augen gesehen, egal ob in Serbien oder in Bosnien. Das Thema Krieg ruft dagegen eher Schweigen und Unwillen hervor.
Für uns ist die Reise mit dem Yugo ein Experiment und ein Test, inwieweit dieses Auto als Symbol der alten Zeiten die Herzen öffnen und Erinnerungen wach rufen kann. Uns geht es dabei nicht um historische Aufklärung, sondern um das Erspüren einer gemeinsamen Identität auf dem Balkan, wenn es so etwas überhaupt gibt.
Die Interviews sind Teil der Vorarbeiten für unsere Theateridee „Yugo Taxi“. In inszenierten Taxifahrten für jeweils bis zu 2 ZuschauerInnen und einen Schauspieler können alle Themen, die den Balkan bewegen diskutiert werden, nostalgisch, politisch oder emotional. Alte Geschichten kommen zum Vorschein, Ressentiments werden ausgepackt, vielleicht auch Klischees und Vorurteile.
War Jugoslawien vielleicht so etwas wie die Illusion eines westlich orientierten, weltoffenen Sozialismus?
WEITERES UNTER: www.yugo-taxi.com